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Channel: Theater – teichelmauke

Ganz Große Räder

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„Das große Heft“ nach einem Roman von Ágota Kristóf in einer Fassung von Ulrich Rasche und Alexander Weise, Regie Ulrich Rasche, Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 11. Februar 2018

Unwillkürlich betastet man sich schon in der Pause verstohlen den Kopf nach Blutflecken. So brachial wird einem der Text in den Kopf geschlagen, daß man auch äußerliche Wunden befürchtet. Ulrich Rasche, ja, der mit den beiden aufeinander folgenden aktuellen Theatertreffen-Einladungen, dreht sich diese Kriegsgeschichte zu einem chorischen Spektakel, das mit klassischem Theater-Spiel eher wenig, aber mit kraftvoller Performance sehr viel zu tun hat, auch Tanztheater, Popkonzert und Oper sind nicht weit weg. Ziemlich neu für Dresden, und ziemlich verwirrend. Das Premierenpublikum besteht auch hier wahrlich nicht nur aus Trendsettern, und so bleiben nach der Pause doch einige Plätze frei. Um so frenetischer ist der Jubel am Ende – lange nicht mehr so gehört im Staatsschauspiel.

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Ein Chor aus sechzehn Profis – wo hat man heute am Theater die Chance, so etwas zu sehen? Nicht nur technisch werden hier sehr große Räder gedreht.

Auf der Bühne kreisen zwei große, waagerechte Scheiben. Auch diese kommen als Zwillinge daher, sind aber deutlich unsynchroner als die Protagonisten. Das Spiel wechselt zwischen den beiden Plateaus, die zudem über die Bühne wandern und sich mal so und mal so neigen, wenn auch nicht ganz so halsbrecherisch wie das Spielfeld in Basel beim „Woyzeck“. Das Fahrgeschäft von Rasche ist erneut beeindruckend, aber es will auch theatral gefüllt werden, wir sind ja nicht im Kunstmuseum (hauptstädtische Theater-Hipster hätten hier gewiss „Volksbühne“ geschrieben, aber das kann man aus der Provinz ja nicht beurteilen).

Zwei Gruppen zu je acht sehr jungen Schauspielern agieren, meist wechseln die beiden Mannschaften sich ab, nur zu den Höhepunkten sind alle Darsteller auf den dann zwei Bühnen zu sehen. Selten tritt einer allein auf, auch wenn er Text hat, ist ein anderer schattenhaft an seiner Seite, der abwechselnd zu ihm die Geschichte erzählt, der Rest der Gruppe tritt im Hintergrund (nein, kein Schreibfehler, man tritt tatsächlich unablässig seine Schritte, um auf der Dreh-Bühne auf derselben Stelle zu bleiben).

Und ja, es wird erzählt, nicht gespielt, für Puristen ist das hier eine (nicht mal szenische) Lesung. Wenn man so will, besteht diese Inszenierung aus fünf Elementen: Dem (gekürzten) Text des Buches, der chorischen Interpretation desselben durch anderthalb Dutzend ent-individualisierter Schauspieler (hier ohne Gender-* und einstudiert von Alexander Weise und dem auch selbst spielenden Toni Jessen), einer Bühne aus zwei sich drehenden Scheiben (neben dem Regisseur haben Sabine Mäder und Romy Springsguth daran mitgearbeitet, letztere zeichnet auch für die Kostüme verantwortlich) und – nicht zu vergessen – einer großartigen, betörenden, niederschlagenden und fesselnden Musik (Komposition Monika Roscher), die mit Drums, Cello, Violine und elektrischer Bassgitarre live auf der Vorderbühne dargeboten wird und fast schon die halbe Miete ist zum Erfolg des Stücks. Das fünfte Element wäre dann noch die Dreifaltigkeit aus Licht (Andreas Barkleit), Video (Philip Bußmann) und Samples / Sound-Art (Nico van Wersch).

Individualität – von der wird an diesem Abend nur manchmal erzählt, zu sehen gibt es sie nicht. Im großen Heft sind die haupthandelnden Zwillinge gesichtslos, alle sechzehn jungen Darsteller spielen sie, meist im Duett, oft als Gruppe, fast nie als Einzelner auf der Bühne – oder besser den beiden Dreh-Bühnen mit jeweils vielleicht zwölf Meter Durchmesser, die abwechselnd und gleichzeitig kreisen, etwa einen Meter über Normalnull des Theaters. Man munkelt, allein diese Installation habe den Gegenwert eines Kulturministerinnen-Dienstwagens gekostet, aber man munkelt so viel und es ist ja eh alles für die Kunst.

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Ein lakonischer Beginn, Moritz Kienemann und Johannes Nussbaum sind die ersten auf der Bühne und erzählen die Geschichte der Ankunft der Zwillinge in der kleinen Stadt unweit der großen, stoisch stampfen sie in kindgerecht kurzen Hosen ihren Weg. Mit ihnen wird das Stück auch enden, ähnlich lakonisch, auch wenn da vom Tod im Minenfeld zwischen den Stacheldrahtverhauen berichtet wird. Stellvertretend für die anderen seien die beiden hier benannt – auch weil man aus der geschlossenen Ensembleleistung (nie war das Wort so treffend wie hier) niemanden herausheben möchte. Es funktioniert, auch weil sich keiner der Jungschauspieler und Noch-Studenten in den Vordergrund drängt. Selbst Yannik Hinsch, der am Haus inzwischen in vielen Rollen glänzt, lässt seinen Nachbarn Raum, dennoch stellt sein Monolog nach der Pause ein Glanzlicht der Inszenierung dar.

Daß es die Zwillinge von den mal mehr und mal weniger geneigten rotierenden Scheiben, die hier die Welt bedeuten, herunterwirft, ist das Letzte, was man angesichts deren sich schnell einstellender Abgeklärtheit erwarten würde. Kaum von ihrer verzweifelten Mutter bei der bis dato unbekannten und gemeinhin als Hexe benamsten Oma zur Lebenserhaltung zwischengelagert, nehmen sie das Heft selbst in die Hand, auch wenn es vorerst noch kein großes ist. Hier wissen zwei sehr genau, was man zum Überleben braucht und tun muss – wie junge Wölfe lernen sie bald jagen, töten, Beute machen.

Trotz der klaren Assoziation zum Zwillingsthema (hier 2 mal 2 mal 2, die vierte Potenz wäre dann wohl doch zu teuer geworden für das Haus) stellen die Sechzehn auf der Bühne nicht eigentlich die Hauptfiguren dar, sondern sind die Erzähler einer Geschichte, die aus der Perspektive der Brüder geschildert wird. Kontur gewinnen sie dabei höchstens gemeinsam, als Individuum kommen sie nicht vor, konsequenterweise bleiben sie auch namenlos. Unstreitig beziehen sie ihre Stärke aus dieser Existenz als siamesische Zwillinge im Geiste, nicht nur nach außen, sondern auch im Binnenverhältnis. Küchenpsychologisch interpretiert: Der eine passt auf den anderen auf und treibt ihn an, duldet keine Schwächen. So werden aus Kindern binnen kurzer Zeit kleine Erwachsene, schmerzfrei, abgeklärt und freudlos.

Woher soll die Freude auch kommen? „Wir spielen nie“ – sicher einer der traurigsten Sätze in diesem an Bitterkeit sehr reichen Buch.

Die Zwillinge kämpfen sich durch eine per se feindliche Umwelt, beginnend mit der Großmutter, die sie als Störenfriede und unnütze Esser sieht und endet mit der Kleinstadt-Kinderwelt, die auf dem Recht des Stärkeren basiert. Hier erobern sie sich mit Fleiß und Ausdauer Respekt, dort mit Brutalität und Furchtlosigkeit. Für Hasenscharte, die Ausgestoßene, werden sie die Schutzpatrone, am Ende retten sie sie mit einer Erpressung des Pfarrers vor dem Verhungern. Aber als der Krieg dann auch in der kleinen Stadt anzukommen droht und seine Vorboten vorausschickt, sind auch sie hilflos. Ihre Mutter stirbt durch eine fehlgeleitete Granate just in dem Moment, in dem sie die Knaben abholen will, zur Flucht in das Land ihres neuen Mannes, eine kleine Schwester ist auch schon da. Doch die Zwillinge wären ihr auch so nicht gefolgt, zu eng ist inzwischen die Bindung an die Großmutter. Den Tod Hasenschartes können sie aber auch nicht verhindern, in den sie sich kopfüber stürzt. Die Nachkriegszeit beginnt.

Der Buchvorlage geht (zumindest nach Meinung des Rezensenten) am Ende dramaturgisch die Luft aus, nach dem schicksalszynischen Tod der Mutter bleibt vieles rätselhaft. Rasche vermeidet viele dieser Klippen, sein Stück ist klug eingedampft aus der ohnehin schon kargen Handlung des Buches, Nebenfiguren wie der Adjutant, der Briefträger und der Polizist sind gestrichen, auch Schlaganfall und Tod der Großmutter kommen nicht vor. Dennoch, der zweite Auftritt des Vaters, der mit dessem Tod im Grenzzaun und der Trennung der Zwillinge (in Ost und West) endet, bleibt ein Wurmfortsatz des Romans, der auch auf der Bühne nicht plausibler wird. Ein schlichtes Trennungs-Mahnmal gegen den Eisernen Vorhang? Das scheint zu simpel angesichts der komplexen Fragestellungen zuvor.

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Wenn man an diesem Abend partout irgendwas bekritteln will: Wucht sticht im Zweifel Präzision. Obgleich das chorische Sprechen im Allgemeinen ganz großartig funktioniert, trifft das auf die Bewegungen nach Rasches Choreographie nicht immer zu. Beim Basler „Woyzeck“, der im Mai auch im Berlin zu erleben sein wird, kann man zusehen, wie perfekt so etwas sein kann, allerdings läuft das Stück dort schon deutlich länger und hat auch nur wenige „Massenszenen“.

Was bleibt zu bilanzieren? Ein Regisseur aus den aktuell oberen VierBisAcht hat in Dresden inszeniert, er hat einen hier noch nicht gespielten Stoff ausgewählt, hat 16 junge Schauspieler zusammengetrommelt, seine kinetische Bühneninstallation entsprechend angepasst, das Budget ordentlich überzogen, den Text eingedampft, den ersten Premierentermin platzen lassen (OK, vor Krankheit ist niemand gefeit) und dann ein sehr ordentliches Stück Theater auf die Bühne gebracht, das vermutlich nur deshalb nicht für das Theatertreffen 2019 in Frage kommt, weil kein Regisseur dreimal hintereinander eingeladen wird. Es hätte schlimmer kommen können.

Oder nochmal komprimiert zusammengefasst: Das Staatsschauspiel Dresden spielt damit wieder in der ersten Liga.

(Foto: Sebastian Hoppe)

 

Weitere Meinungen:

http://srv.deutschlandradio.de/themes/dradio/script/aod/index.html?audioMode=2&audioID=3&state%5BlaunchMode%5D=4&state%5BlaunchModeState%5D%5Bsuche%5D%5BsearchTerm%5D=Das+gro%C3%9Fe+Heft

http://www.taz.de/!5481350/

https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=14991:das-grosse-heft-ulrich-rasche-laesst-den-roman-von-agota-kristof-in-dresden-durchexerzieren&catid=38&Itemid=40

https://wordpress.com/read/blogs/107881401/posts/43421


Du sollst im Theater nicht beichten

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„Die 10 Gebote“ nach DEKALOG von Krzysztof Kieslowski und Krzysztof Piesiwicz, Regie Nuran David Calis, Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, Premiere am 16. März 2018

Irgendwann, so hoffe ich, ist auch die letzte gruselige Geschichte aus Dresden und Umgebungen von den Opfern selbst (!) auf der Bühne (!!) ganz authentisch (!!!) erzählt, und die Bürgerbühne kann das Niveau der Nachmittags-Shows des Enthüllungsfernsehens wieder verlassen. Um vielleicht dann endlich zu merken, daß das ungeschützte Zurschaustellen von Betroffenen sicher spektakulär, aber noch sicherer unanständig ist.

Ein Fernsehfilm ist nicht Theater, und Theater ist – zum Glück – kein Fernsehen. Manchmal lässt sich das Eine in das Andere gut überführen, manchmal aber auch nicht. Vielleicht besonders dann nicht, wenn man einem ohnehin schon komplexen Stoff noch anderthalb Ebenen draufpacken will. Reality TV ist schon schwer erträglich, Reality Theatre ist erst recht kein Format, das man (besser ich) sehen will.

Der ganze traurige Rest hier:

http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_die10gebote_staatsschauspielDD.php

 

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Die weißen Dieger sind los

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„Circus Sarrasani. The Greatest Show On Earth“ von und mit Rainald Grebe, Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden am 26. Mai 2018

Der Zirkus war da.

Und er hat dieses mitunter doch betuliche Staatsstadttheater gehörig durcheinander gewirbelt, vermutlich unter dem Protest von Feuerwehr, Unfallkasse und kaufmännischer Direktion. Aber schön war’s, nicht nur deswegen.

… (Bißchen Text) …

Der Zirkus war da im Theater. Jetzt kehrt wieder Normalität ein. Aber keine Sorge: Der Zirkus kommt wieder.

Hier:

http://www.kultura-extra.de/theater/spezial/premierenkritik_sarrasani_staatsschauspielDD.php

Beim Barte des Kaisers

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„Der Untertan“ von Heinrich Mann am Staatsschauspiel Dresden, 7. September 2018, Premiere der Spielfassung von Jan-Christoph Gockel (Regie) und Julia Weinreich

Diederich Heßling war ein weiches Kind, wie wir alle wissen, aber er blieb es nicht. Oder besser, er glaubte dies kompensieren zu müssen, mit den bekannten Ergebnissen. Man muss nicht Freud bemühen, um zu wissen, woher der ganze Kaiserschmarrn also kam.

Die Dresdner Theaterfassung nutzt eine Diedel-Puppe als alter Ego des Heßling und eröffnet damit weite Möglichkeiten für die psychologische Ausleuchtung der Figur. Immer wieder beeinflusst die Puppe Diederichs Handlungen, lenkt ihn auf den Pfad, der ihm vorbestimmt scheint: Ein treuer Untertan des Kaisers und ein absoluter Herrscher in seinem eigenen kleinen Reich.

So prallt auch die letzte Versuchung an ihm ab, die Geliebte Agnes wird abserviert, mit der islamistisch klingenden Begründung der fehlenden Jungfräulichkeit. Die Dialektik des Patriarchats hat gewonnen.

Aber von vorne: (hier)

http://www.kultura-extra.de/theater/veranstaltung/premierenkritik_DerUntertan_staatsschauspielDD.php

 

Am Beispiel des Kühlschranks oder Es geht ein Riss durch den Saal

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„Wir sind auch nur ein Volk“ nach Jurek Becker am Staatsschauspiel Dresden, 8. September 2018, Uraufführung der Spielfassung von Tom Kühnel (Regie) und Kerstin Behrens

Vorweg: Nachdem der erste große Ärger über einen völligen Missgriff nach der Pause verraucht ist, kann ich insgesamt doch einen guten Abend bescheinigen. Zum „sehr gut“ fehlt die Haltung, und die mitunter überzogene Ostalgie mag „breite Kreise der Bevölkerung“ (um im Duktus zu bleiben) zufriedenstellen, mich nervt sie eher. Dennoch begeistern die Vielzahl an durchdachten und gut inszenierten Szenen, das Bühnenbild, ganz besonders die perfekt getroffenen Kostüme, die Musikauswahl von im Prinzip auch (selbst wenn sie weh tat) und die Live-Kamera, die der Enge der Grimmschen Wohnung Ausdruck gab, bekommt ein Sonderlob.

Hier:  http://www.kultura-extra.de/theater/veranstaltung/premierenkritik_WirSindAuchNurEinVolk_staatsschauspielDD.php

 

Kommt ein Mann nicht nach Hause

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„Odyssee“ von Roland Schimmelpfennig, Uraufführung am 15. September 2018 am Staatsschauspiel Dresden

Ein Mann kommt nicht nach Hause, obwohl der Krieg vorbei ist. Da darf man sich schon mal Gedanken machen, nicht nur, wenn man Penelope heißt und auf den Helden Odysseus wartet. Und man darf unbedingt eigene Schlussfolgerungen ziehen, selbst wenn man Penelope heißt und Königin von Ithaka ist. Das Leben ist im Allgemeinen heute.

Hier:

http://www.kultura-extra.de/theater/veranstaltung/premierenkritik_Odyssee_staatsschauspielDD.php

 

Ins Fäustchen gedacht

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„Faust I + II“ von oder besser nach J.W. v. Goethe; Regie Enrico Lübbe, Schauspiel Leipzig, gesehen am 5. Oktober 2018 (zweite Vorstellung)

Mal wieder Faust im Ganzen, den Rezipienten freut es. In vier Teilen wurde das sog. National-Poem in Leipzig geboten, und so soll auch berichtet werden.

 

Teil 1: Requiem für Gretchen

Wer vieles bringt, hat noch lange kein Konzept. Der Teil 1, der Lübbes Variante von Faust I in knapp zwei Stunden auf die Bühne brachte, war herzlich schlecht insgesamt, auch wenn es natürlich auch Sehenswertes gab. Aber das wog die als modern kostümierte Biederkeit nicht auf. Nicht jeder Blödsinn ist auch Dadaismus, ein Marionettentheater mit Menschen ist auf Dauer langweilig, und hat der Rasche nicht ein Theater-Patent auf die Drehscheibe? Vieles sah dann doch sehr nach dem Basler „Woyzeck“ aus.

Ein 28-köpfiger Chor war dabei im Einsatz: Anfangs ganz großartig, mit einer mitreißenden Ver- bzw. Zertonung der bekannten Verse, beim zweiten Auftritt grad noch artig und in der Folge vor allem nervig. Ein Chor ist nun mal keine Schauspielbrigade, jedenfalls nicht von selbst. Daß Stiefelgetrappel gegen Chorgesang akustisch obsiegt, sollte zudem am Theater bekannt sein. Schade um die verschenkten Möglichkeiten, die man am Ende des Abends im Faust II dann kurz aufblitzen sah.

Die Spielfassung des Faust I wirkte letztlich, als wäre sie im Stadium der Improvisation zu Probenbeginn steckengeblieben. Visuell spektakulär, insbesondere in der Auftrennung des Heinrich Faust in seine diversen Persönlichkeiten, die den Mephisto ersetzen sollten, der doch tatsächlich (hörthört, Theaterwelt!) hier gestrichen war – klar, man kann Suppe auch ohne Salz kochen, es ist nur keine gute Idee -, aber in der Textauswahl willkürlich, ohne Figurenentwicklung und ohne dramaturgischen Einfall. So hat es selbst die noch recht gute Julia Preuß schwer, am Ende des ersten Teils einigermaßen glaubhaft einen großen Gretchen-Monolog zu geben, nachdem sie zuvor wahlweise rumstehen oder im Kreis latschen musste mit vielen anderen Margarethen.

Kein Konzept, nirgends. Fast schon war dies ein Best Of der belanglosesten Szenen aus dem Faust, und diese wurden dann auch noch schlecht umgesetzt. Faust ist hier vor allem müde, mürrisch und schlecht gelaunt, übt sich am Ende (als er seinen Gretchen-Missbrauch begreift, wie wir aus dem Originaltext wissen) im Schattenboxen gegen seinen alten Ego im Viererpack und wirkt dabei wie ein Luftgitarrist bei der Metal-Runde in der Dorfdisko. Wenzel Banneyer beim Spielen zuzusehen, ist leider kein Vergnügen, tut mir leid.

 

Teil 2: Kaschperletheater

Nach der unnötig langen Pause folgt im Saal ein Intermezzo mit Puppenspiel. In Auerbachs Keller gleich nebenan feiert sowas sicher Erfolge und stößt auf Begeisterung bei den Touristen, aber an einem Stadttheater der oberen Liga hab ich so etwas Dämliches schon lange nicht mehr gesehen. Zum Inhalt schweigt des Sängers Höflichkeit.

Nur ein hübsch gemachtes Filmchen über die Herren Goethe auf den eigenen Spuren will ich erwähnen. Doch was ist ein Einbruch in eine Bibliothek gegen die Gründung einer solchen? Man hätte es beim Film bewenden lassen können.

Und am Ende gibt es Wein für das Publikum, aber der reicht nicht für alle. Irgendwie passt das.

 

Teil 3: Ins Freie!

Drei Touren hat man nunmehr angesetzt, „Die Umsiedler“ am Völkerschlachtdenkmal, „Schöpfungsträume“ im Institut für Anatomie der Universität Leipzig und „Die Erfindung des Reichtums“ quer durch das Zentrum zur Alten Handelsbörse. Nur von letzterem kann ich berichten, und tue das mit Respekt, auch wenn mir der Titel unpassend scheint für den präsentierten Inhalt. Mit aufwändiger Logistik, Audio-Guide und zahlreichen Lotsen wird man über Geldgeschichte und -philosophie belehrt, das ist meist interessant und nur manchmal arg simpel. Durch den Festsaal des Alten Rathauses geht es in die Alte Handelsbörse, wo eine Pfarrerin (weil per Definition in allen Dingen zuständig) und ein Geschichtsprofessor über den Besitz und dessen Abbildung im Leben (z.B. als Papiergeld) plaudern. Das plätschert dahin, auf dem Rückweg zum Theater gibt es noch Klangkunst auf die Kopfhörer, man wird durch die Mädler-Passage gelotst und darf des Dr. Jürgen Schneider gedenken, der Abend ist wunderbar mild, die Straßen sind voller geputzter Menschen … fast ist man versöhnt mit dem Ganzen. Das willkürliche Auseinanderreißen von Sitz-Gruppen durch uneinheitliche Investments mit dem „Pudel-Geld“ verdirbt einem aber gleich wieder die freundlichen Gedanken.

 

Teil 4: Es muss ein Ende haben

Damit sich alle auch wieder finden, hat man noch eine dreiviertel Stunde Faust II im Großen Haus angesetzt. Nun ja, von allem Theatralen war das noch das Gelungenste, trotz der zur Unverständlichkeit gekürzten Fassung mit erschwerender Beigabe von anderen Texten aus dem Faust II, die parallel auf der die schon bekannte Drehscheibe überdeckenden Fläche eingeblendet wurden, gänzlich ohne Beziehung zum Geschehen. Zu erkennen waren die allerdings nur aus den ersten Reihen – somit schadeten sie zumindest nicht.

Das versammelte Schauspielstudio durfte sich im abwechselnden Deklamieren von Textbruchteilen an der Rampe üben (eine Fähigkeit, die sie später hoffentlich selten brauchen werden), die Scheibe wirkte mitunter wie eine Weihnachtspyramide mit reichlich Engelei, auf ihr wurden unablässig Stühle gerückt und irgendwie dabei die Szene mit Philemon und Baucis gegeben. Dramatische Musik hatte es auch, und die Glocken läuteten deutlich zu oft.

Dann nochmal zurück auf Anfang des Faust I, aber zum Glück nur als Zitat, der Wackere darf nun versterben, und wo kein Mephisto, kann auch keiner um seinen Lohn betrogen werden. Es wird schön gesungen am Ende, aber auch dies reicht nur für einen mittelprächtigen, erleichterten Beifall, es geht auf Mitternacht.

 

Tja, und nun, das Urteil?

Als gefühlt 75te Inszenierung des Faust im Ganzen in den letzten Jahren: krachend gescheitert.

Als Event-Theater: Kann man machen. Nur sollten Aufwand und Ertrag mehr miteinander zu tun haben.

Doch das Leipziger Schauspiel bleibt ein Gesamtkunstwerk aus Theater, Ambiente, Gastro, Umgebung und Stadt, daran ändert auch ein solcher Abend nichts.

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„Hool“ nach dem Roman von Philipp Winkler, Bühnenfassung und Regie Florian Hertweck, Premiere am Staatschauspiel Dresden am 22. März 2019

Wenn man Mitleid mit dem Pack empfinden würde, für das der Begriff white trash offenkundig erfunden wurde, hätte man am Ende vielleicht schlucken müssen ob der absehbaren Trostlosigkeit des weiteren Daseins der Prügel-Knaben, egal ob nun als lebenslang Behinderter, als kreditabzahlender Reihenhaushöllenbewohner, als wertvolles Fußballvereinsmitglied oder schlicht als perspektivloser Assi. Den Knacks behalten alle, beileibe nicht nur in der Zahnleiste, und das sei ihnen von Herzen gegönnt. …

Jenseits dieser Betrachtungen … ist von einem kraftvollen, adrenalingetränkten und turbulenten Abend zu berichten, in dem sich fünf Schauspieler alle Mühe gaben, mitunter als ein Block von 50 Hools zu erscheinen, was auch öfter gelang….

Wieder mal (nach dem thematisch benachbarten „Neun Tage wach“) eine gelungene theatrale Umsetzung eines aktuellen Romans, die ihr breites Publikum finden wird.

Das ganze Spiel in voller Länge hier:

http://www.kultura-extra.de/theater/veranstaltung/premierenkritik_hool_staatsschauspielDD.php

 


Forrest Gump sagt, wo er steht

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> KULTURA-EXTRA

„Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt vom ihm selbst“, von Ingo Schulze, Spielfassung und Regie Friederike Heller, Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden am 7. Februar 2020

Theater im engeren Sinne war das somit nur bedingt, eher eine dramatisierte und bebilderte Abfolge von Romanszenen. Die Figuren blieben zwischen den Buchdeckeln, keine erwachte zum Leben, die Abbildung von einem Vierteljahrhundert in einer Bühnensituation ist auch selten eine gute Idee.

Vergnüglich war es trotz allem, Ingo Schulze sei Dank. Und die Vorstellung, wie ein Forrest Gump durch den real Existierenden stolpert, hat auf jeden Fall was.

 

Ritter der Obstschale als 2tbeste Lösung

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Gundermann: Alle oder keiner

Eine Revue über Helden, Gras und Kohle von Tom Kühnel

Premiere am Staatsschauspiel Dresden am 9. Oktober 2020

Alle Stücke, die ich schreiben wollte, macht schon der Tom …“ ist als beim Meister entliehenes Eingangs-Zitat in diesem Falle durchaus angebracht, in aller Unbescheidenheit, weil es im Falle der Teichelmauke um genau ein Stück geht, das jener immer schon mal zu Papier bringen wollte und das nun Tom Kühnel vor ihm getan hat.

Mit Bravour, soviel sei vorweggeschickt, und aus meinen hochfliegenden Plänen wäre eh nix geworden, vermutlich, und ich tröste mich nun unter anderem damit, daß auch Profis des Genres die Relevanz von Gundermann für die Theaterbühne erkannt haben.

Meister ist übrigens die Bezeichnung, die wir im Freundeskreis schon seit Jahren für den Gundermann verwenden, und daraus wird zum einen meine Befangenheit in dieser Sache ersichtlich, aber auch die Prägung durch ein inzwischen sechzigsemestriges Studium der Gundermannistik, das leider nur in den ersten Jahren einen starken Praxisbezug aufwies. Will sagen, in Sachen Gundermann macht mir so schnell niemand etwas vor, ich bin aber auch fix beleidigt, wenn etwas nicht meiner Meinung davon entspricht, wie man den Gundermann heute vorstellen muss. So war ich mit dem Spielfilm „Gundermann“ von Andreas Dresen nur halbwegs glücklich, die danach erschienene Doku „Gundermann Revier“ von Grit Lemke schätze ich hingegen sehr. Mit dem halben Dutzend Bands, die sich um den Nachlass von Gundermann verdient machen, von „Die Seilschaft“ über die „Randgruppencombo“ bis hin zu Christian Haase werde ich sehr unterschiedlich warm, aber das tut hier nichts zur Sache und trägt nur zum imaginären Zeilenhonorar bei.

Tom Kühnel ist da vermutlich emotional weniger vorbelastet, und das tat seiner Revue durchaus gut. Mit den musikalischen Leitern Matthias Trippner und Jan Stolterfoht inszenierte er die Gundermann-Stücke in nahezu jeder denkbaren Stilrichtung vom Nina-Hagen-Quietschgesang über einen wirklich guten Blues und über Belcanto bis zum Death Metal, zumeist gelungen und in der Regel auch kongenial interpretiert – von den üblichen Verdächtigen Henriette Hölzel, Jannik Hinsch und Thomas Eisen hatte man das erwartet, positiv zu überraschen wusste auch Betty Freudenberg.

Eine Revue wird naturgemäß weniger von der Handlung getragen, dennoch orientierte man sich biographisch und schilderte Leben und Wirken des Gundermann fast chronologisch. Das hatte durchaus seinen Reiz, auch wenn dem einschlägig Gebildeten manche Szenen aus Film und Doku sehr bekannt vorkamen. Die 1:1 – Übertragung auf die Bühne war sicher nicht die beste Idee des Abends, auch nicht die Playback-Variante von Interview-Sequenzen aus dem sozialistischen Alltag von damals, die nach der ersten Erheiterung schnell ermüdete.

Der Gundermann trat hier in Versechsfachung auf, jeweils mit dem bekannten Fleischerhemd, strähnigen blonden Haaren (Kompliment an die Maske) und Gitarre vor den Hosenträgern, was die spielerische Last gut verteilte, aber neben ihm auch keine andere Figur zuließ, von einigen kurzen Spielszenen mit Ehefrau, früherem Führungsoffizier und damals Bespitzelten abgesehen. Das wiederholte Selbstgespräch zu sechst war da später unausweichlich, und neben einigen Längen, die der Zuschauer durchlitt, trug dies dann doch zur Wahrheitsfindung bei. Zunächst stand man klampfenbewehrt sehr frontal und statisch an der Bühnenkante, auch die Musiker klangen anfangs sehr nach Ostrock, aber es kam danach mit dem Einrollen von dampfenden Kühltürmen in den Bühnenhintergrund Bewegung in die Szenerie, auch musikalisch.

Visuell wurde einiges geboten, eine Filmszene etwa, die mit einer alten Sorbin begann, die den Verlust der eigenen Sprache und des Lebensraums beklagte und dann mit einem weiten Schwenk von oben über die Tagebaukante in eine Mond- und Kraterlandschaft wechselte. Später dann noch die Sprengung eines Großgerätes, das nicht mehr benötigt wurde, sinnigerweise mehrmals vorwärts und rückwärts gezeigt, als ob sich so die Löcher im Himmel wieder schließen könnten. Manchmal zerfaserte das Stück ein wenig zwischen den verschiedenen Stilmitteln, einiges wurde schlicht verkaspert. Die Kenntnis des Gundermann im Allgemeinen und des Dresen-Films über ihn im Besonderen ist in jedem Falle ein Vorteil für den Zuschauer, aber auch, wenn für einen der Gundermann vor allem eine Heilpflanze ist (soweit das in hiesigen Breiten möglich ist), kann man dem Stück sicher vieles abgewinnen.

Eine besonders gute Idee der Inszenierung, die mir nur anfangs etwas seltsam vorkam, war der abrupte Wechsel zwischen der rentnerfarbenen DDR-Tristesse in eine quietschbunte Werbewelt im Beitrittsgebiet. Krach, bumm, neues Leben! In schneller Folge blätterten dann Motive einschlägig bekannter Reklame auf, die den raschen Fortgang der Gundermann-Geschichte nach der Wende, vor allem seine Enttarnung als Stasi-IM, illustrierten. Hello Barbie, tell me aus der Akte … mit der Krönung arbeitet es sich auch leichter auf, selbst wenn in der Bärenmarke-Milchkanne nur ein Täterdokument zu finden ist. Dieser respektlose Rückblick auf die Jahre 90/91 wird nicht jedem Gralshüter gefallen, aber so skurril war das eben manchmal, zumindest in meiner Erinnerung.

Danach fuhr die Drehbühne rückwärts, und in der Fototapetenwelt erkannte man die Banalität des Blöden, die Bühne machte übrigens Jan Pappelbaum.

Zuvor war allerdings noch der intellektuelle Höhepunkt des Stücks zu bestaunen: Die raffinierte Verknüpfung von Christoph Heins „Ritter der Tafelrunde“ mit den Mühen des Gundermann in der Runde der Parteifunktionäre. Das Lancelot-Thema hatte Gundermann ja bereits in seiner ersten, 1988 bei AMIGA erschienenen LP „Männer, Frauen und Maschinen“ verarbeitet, und ob es damals schon irgendwelche Verbindungen gab, kann nur Herr Hein beantworten, aber es war frappierend, wie mühelos sich Heins literarischer Text durch die Sprechblasen der führenden Genossen ersetzen ließ. Ob nun an den Gral oder die hist. Miss. d. AK zu glauben ist, erschien egal, Zweifel war überall Verrat. Allein für diese Viertelstunde hätte sich der Abend schon gelohnt.

Wenn man bei Höhepunkten bleiben will: Emotional setzte diesen Betty Freudenberg mit der Interpretation des inzwischen legendär gewordenen Konzertbeginns in Berlin, als Gundermann seine IM-Tätigkeit bekundete, und des nicht minder bewegenden „Hier bin ich geborn“ im Anschluss.

Auf der anderen Seite der Skala für mich die Nachspielung der klassischen Talkshow-Situation zum Thema „Kumpelschutz oder Naturschutz“, die sich in der Darstellung der bekannten Positionen im Wortsinne erschöpfte. Daß die Schauspieler dabei als Insekten kostümiert waren (das immerhin beeindruckend von Leonie Falke umgesetzt), konnten sich vermutlich nicht alle im Publikum erklären, dafür kam der vorhergehende Verweis auf die Ansicht des Gundermann, Insekten wären für das Leben auf diesem Planeten inzwischen deutlich besser geeignet, ein wenig zu kurz. In einer 90 min – Version des Stücks, die ich für sinnvoll halte, hätte diese Szene keinen Platz mehr für mich.

Das oben schon erwähnte Erstlingswerk von Gundermann hält noch so viel relevantes Material bereit … folgerichtig kam auch fast alles davon zur Aufführung. Manchmal als Teil eines Nummernprogramms, okay, es war eine Revue, manchmal aber auch eingebettet in eine kontextuale Handlung.

Zum Ende hin wurde es dann doch wieder zum Nummernprogramm an der Bühnenkante, vielleicht sollte sich ein Kreis schließen. Aber der schloss sich so unauffällig, daß dann auf einmal Schluss war, während das Publikum weiter im letzten Lied schwelgte. Da sollte dramaturgisch noch nachgeschliffen werden, denn diese Irritation am Ende hat das Stück nicht verdient.

Insgesamt wurde aus der „Sammeltasse Glück“ reichlich zurückgeschüttet ins Publikum, zu anderen Zeiten wäre sicher ein Beifallsorkan durchs Haus gebraust. So machte der Applaus zumindest an Länge wett, was er an Stärke nicht haben konnte, und dies womit? Mit Recht.

Es war ein schöner, wichtiger und wertvoller Beitrag zur Einordnung des ostdeutschen Rockliedermachers ausm Tagebau. Daß Gundermanns Spätwerk im Ganzen ein wenig zu kurz kam, war dabei unvermeidlich, in einer gut zweistündigen Aufführung lässt sich auch unmöglich das gesamte Schaffen unterbringen. Kühnel hat sich für wichtige Ausschnitte entschieden, das ist gut so und lässt auch noch Raum für weitere Versuche (wenn auch nicht von mir).

Das Gesamtphänomen Gundermann kann ohnehin nicht mit einem einzigen Film, einem Konzert oder einem Theaterstück beschrieben werden. Aber alle liefern ein paar Steine zum Mosaik eines viel zu früh Gestorbenen, für den das Bild der „Kerze, die an beiden Enden brennt“, wohl erfunden worden ist.

[Hinweis: Eine gekürzte Fassung dieses Textes wird auch auf dem allgemein sehr zu empfehlenden Portal KULTURA-EXTRA https://www.kultura-extra.de/index.php zu lesen sein.]